Kämpfe für das, was Du liebst !

(Herr S. ist 63 Jahre, pflegt seit 20 Jahren und lebt in Hamburg)

 

Meine Forderungen an Politik und Gesellschaft:           Nicht zu verzagen, das wünsche ich mir auch von anderen Betroffenen.Für  das zu kämpfen, was man als      richtig erachtet und für die Menschen, die man liebt. Das fordere ich von den vielen Betroffenen in diesem Land. Ich bin sicher, dass es irgendwann Früchte tragen wird!

„Das ist ja ein Prachtkerl!“ Diese Worte, aus dem Munde unseres Kinderarztes, sind das schönste Geburtstagsgeschenk, das ich in meinem Leben erhalten habe. Nico liegt auf der Wiegeschale und lässt seine erste U-Untersuchung in seiner inzwischen bekannt fröhlichen Art über sich ergehen. Und ich habe Geburtstag. Perfekt!

Heute ist Nico 20 Jahre alt und sitzt im Rollstuhl, geistig und körperlich schwerstbehindert, spastisch, abgerundet mit einem Anfallsleiden. Im Laufe Nicos erster Lebenswochen und folgenden U-Untersuchungen mussten wir feststellen, dass der Abstand zu Gleichaltrigen immer größer wurde. Fast ein Jahr betrieben wir in der Hamburger Uniklinik erfolglos Ursachenforschung. Das Urteil, ein behindertes Baby zu haben, löste bei Nicos Mutter schwere Depressionen aus. Zeitweise war sie nicht mehr in der Lage, unseren Sohn zu versorgen. Immer wieder kam es vor, dass ich während meiner Nachtschicht Nico zu mir nach Hause holen musste. Als freier, gut verdienender Fotograf ist das auch relativ einfach zu organisieren gewesen. Ich nahm mir einfach frei. Den kleinen Nachteil von unbezahltem Urlaub konnte ich zumindest für ein Jahr durch nächtliches Taxifahren kompensieren.

Dennoch irgendwann blieb nur noch der Gang zum Sozialamt als letzte Möglichkeit, eine Räumungsklage wegen fehlender Mietzahlungen zu verhindern. Ich klopfte da also zaghaft an, trat ein und wünschte, einen ‚Guten Morgen’. Nichts. Ich räuspere mich ein wenig. „Was wollen Sie?“ „Äh, ich habe ein Problem. Ich habe einen schwerbehinderten Sohn….“ „Und was wollen Sie? Sollen wir für Sie vielleicht noch den Unterhalt zahlen?“ Mir gegenüber stand eine junge Sachbearbeiterin, beide Hände auf den Schreibtisch aufgestützt und mit dem Oberkörper viel zu dicht an mich herankommend. Ich verstand nicht. Ich hatte doch alle erdenklichen Unterlagen für eine „sachliche“ Überprüfung zusammengetragen und wollte nur sagen: „Bitte helft mir!“. „Wir werden Ihre Frau zwingen, ganztägig zu arbeiten!“ Aber Nicos Mutter war krank. Da gibt es auch ein Gutachten. Und meine Frau war sie auch nicht. Denn Nico ist „nur“ mein nichtehelicher Sohn. Und nun wurde es kompliziert, denn zusammen leben tun wir auch nicht. „Wie lange soll das denn so weitergehen?“, fragte diesmal der Abteilungsleiter vom Sozialamt. – „Hm“, dachte ich, „vielleicht, bis der liebe Gott sagt: Ich mache Nico jetzt gesund.“ Weiter versuchte es der Abteilungsleiter: „Denken Sie doch mal an Ihre Rente. Machen andere nichteheliche Väter doch auch! Außerdem ist es vom Gesetzgeber nicht vorgesehen, dass sich nichteheliche Väter um ihre Kinder kümmern.“ – und ohne Gesetzesgrundlage keine Hilfe.

Jahrelang gab es keine finanzielle Unterstützung für Nico. Der Umstand, dass er wechselweise bei seiner Mutter lebte und bei mir, führte dazu, dass sich keine Behörde zuständig fühlte. So lebte er also von meiner Sozialhilfe, die bescheiden ausfällt und jeden Monat neu erstritten werden musste. Dann eine neue Auflage des Arbeitsamtes, die ich als Schikane empfand und empfinde: Ich möge monatlich meine Bemühungen um Arbeit in Form von Kopien der Bewerbungsunterlagen vorlegen. Der Umstand, dass eine Arbeitsaufnahme mit dem behinderten Kind nicht möglich ist, wurde und wird gar nicht anerkannt. Dann ein Schreiben, dass ich der Allgemeinheit zur Last falle. Ich war fassungslos!

Die Sorge, was später mit Nico wird, treibt mich um. Gleichzeitig ist sie mein Motor: Gemeinsam mit Freunden gründete ich 2008 den Verein „Nicos Farm e.V.“, der auch gemeinnützig anerkannt wurde (www.nicosfarm.de). Nicos Farm ist eine Lebensgemeinschaft für Eltern – überwiegend alleinerziehende Elternteile – mit behinderten Kindern. Durch die Gemeinschaft sollen die Eltern aufgefangen und unterstützt werden. Wir haben dafür ein optimales Wohnobjekt mitten in Hamburg gefunden: Ein seit Jahren leerstehendes Altenpflegeheim, bestehend aus acht Häuser. Hier hätten ca. 20 Familien gemeinsam leben können. Wesentlicher Bestandteil unseres Konzeptes ist es, dass die Kinder, wenn die Zeit des Lösens gekommen ist, nicht in einem Pflegeheim untergebracht werden, sondern, dass sie in ihrem Lebensraum – nämlich auf Nicos Farm – verbleiben und die Eltern sich zurück ziehen. Gleichzeitig soll es eine Begegnungsstätte mit Cafe und Streichelzoo werden. Das stieß in Hamburg leider auf Widerstand, weil genau dort, in der Nachbarschaft der Häuser, Europas größtes zusammenhängendes Villenviertel entstehen soll. Wer von denen hat schon gern Menschen mit Sabberproblemen nebenan wohnen.

Bei all diesen Aktionen wurde mir schmerzhaft bewusst, dass es kaum Solidarität gibt. Trotz zahlreicher Presseberichte gab es nicht einmal die Unterstützung der Betroffenen. Die Forderung u.a. nach einer menschenwürdigen Entlohnung bei der Pflege von Angehörigen verhallte ungehört. Von „Stuttgart 21“ oder „Gorleben“ kann unsereiner nur träumen. Selbstverständlich setze ich meinen Weg unbeirrbar fort, denn ich bin gut zu Fuß (siehe auch unsere jährliche Wanderaktion www.inwendig-warm.de). Und wenn ich an meinen Sohn denke, denke ich nur – mein Gott, hab‘ ich ihn lieb!

 ( Bericht aus 2010 – Jahresangaben aktualisiert in 2015 )

 

3 Gedanken zu “Kämpfe für das, was Du liebst !

  1. Ich bin alleinerziehende Mutter einer körperbehinderten Tochter. Mal wieder auf Jobsuche und es ist sehr schwierig. Wäre die Pflege besser bezahlt, würde es uns beiden auch besser gehen…………………….

  2. Meinen tiefsten Respekt !
    Ich hoffe und bete das Sie diesen Kampf gewinnen ! Ihr Sohn muss der glücklichste Junge der Welt sein bei so einem Vater ! Ich wünschte es würde mehr solcher Menschen geben wie Sie es sind !

  3. Hallo!
    Natürlich weiß ich wer du bist, denn wir haben ja über face book die gleichen Ziele. Ich bin froh, dass du hier deine Geschichte veröffentlicht hast und ich kann nur sagen: Respekt und solche Männer braucht das Land! Ich habe auch schon einige Diskriminierungen von Sachbearbeitern und sogar von Betreuern einstecken müssen und weiß, wie sehr das verletzt. Gut, dass auch du dich nicht entmutigen läßt, denn wir müssen einfach weiterkämpfen, das ist ein Schicksal, was wir angenommen haben und wir auch bis zu unserem Ende durchstehen wollen. Du bist ein guter Mensch und ein Botschafter, dein Sohn kann sich nicht einen besseren Vater wünschen. Danke, dass es dich gibt!
    Liebe Grüße
    Silvia

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