DIE AUFGABE des 21. Jahrhunderts !

 

( Herr H. ist 56 Jahre alt, pflegte 13 Jahre und lebt in Berlin )

Meine Forderungen an Politik und Gesellschaft:

ADP pilot14

Für zukünftige, pflegende Angehörige, solange es sie denn noch gibt, wünsche ich mir aber bessere Rahmenbedingungen. Das gilt auch für die professionell Pflegenden. Schließlich ist es die Aufgabe des 21. Jahrhunderts. Ein Jeder von uns ist gefordert – auch Politik und Gesellschaft!

 

Herr H. kann auf eine mehr als 13 jährige Erfahrung als pflegender Angehöriger zurückblicken. Nach erfolgter Ausbildung als Masseur und med. Bademeister – die berufliche Laufbahn als Lehrer, Kinderarzt, Sozialarbeiter oder gar Schauspieler wurde von den Eltern weder gebilligt noch gefördert – arbeitete Herr H. 1979 zunächst im staatlichen Kurbetrieb seiner Heimatstadt in Hessen. Später übernahm er die Leitung der physio-therapeutischen Abteilung eines Krankenhauses für Psychiatrie und Neurologie. Berufstätigkeiten im Ausland folgten. In Berlin arbeitete er als Hauspfleger in einer ambulanten Pflegestation für Menschen mit HIV und AIDS, macht Sterbebegleitungen und besuchte Fortbildungen.

Seine Berufstätigkeit hat er im Verlauf der Pflegeübernahme der Eltern aufgegeben, da gute Pflege zeitintensiv ist! Die derzeitigen Rahmenbedingungen erschweren die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Nach einer Weiterbildung zum Sozialmanager versucht Herr H., derzeit wieder beruflich Fuß zu fassen; trotz der täglichen Pflege seines Vaters, bei der er von einem Pflegedienst unterstützt wird. Nachdem seine Ersparnisse aufgebraucht sind, ist er heute auf Transferleistungen angewiesen.

 Ein Blick zurück, wie alles begann:

1990 verschlechtert sich der Zustand seiner Mutter. Die Eltern sind zerstritten, sprechen kaum mit einander, haben kaum noch soziale Kontakte. Alles, was seiner Mutter Freude bereitet hat, liegt brach: Der hauseigene Garten, die gemütlich eingerichtete Wohnung, die sie nicht mehr in der Lage ist, sauber zu halten. Und auch die Körperhygiene wird vernachlässigt. Der Sohn organisiert eine Vertrauensperson zur Unterstützung seiner Mutter. In den folgenden Jahren werden dennoch Einweisungen in eine Gerontopsychiatrie notwendig. Die Ärzte sprechen erstmals vom Verdacht auf Alzheimer. Der Vater ist mit der Situation überfordert und selbst pflegebedürftig. 1998 zieht der Sohn zu den Eltern, um sie zu unterstützen. Er renoviert das Elternhaus, ein altes Fachwerkhaus. Bei den Umzugsarbeiten innerhalb des Hauses entdeckt der Sohn eine Adoptionsurkunde…

Ungeachtet dessen versorgt er seine Eltern liebevoll weiter, der Pflegedienst kommt 3 mal täglich für die Mutter und einmal täglich für den Vater. Der Sohn organisiert Ergotherapie und Krankengymnastik für seine Mutter, fährt seinen Vater monatlich zum Katheterwechsel ins Krankenhaus und hofft auf Hilfe aus der Nachbarschaft und der Verwandtschaft. Aber die bleibt aus. Im Gegenteil, wenn er mit seiner Mutter im Rollstuhl durch die Innenstadt fährt, wechseln die Nachbarn oder die Verwandten die Straßenseite…

Nach einigen Monaten stellt sich der Zustand der Mutter wieder ein, der dazu geführt hatte, sie in die Geronto-Psychiatrie einzuweisen. Nach sechswöchigem Aufenthalt im Krankenhaus wird sie mit ihrer Zustimmung in ein Heim verlegt, indem auch die damalige Vertrauensperson der Mutter inzwischen arbeitet. 2004 verstirb seine Mutter. Drei Tage später erhält er vom Kreissozialamt die Rechnung über ungedeckte Heimkosten. Während die Wohngeldstelle noch ihr Beileid zum Heimgang seiner Mutter ausspricht und um Rücküberweisung des Wohngelds vom laufenden Monat bittet, will das Sozialamt eine Rechnung in Höhe von 47000 Euro beglichen sehen.

Die Eltern hatten nichts geregelt. So kommt, was hätte vermieden werden können: Zunächst einmal werden die Ersparnisse der Eltern aufgebraucht. Das geht relativ schnell. Das Sozialamt lässt eine Hypothek auf das Haus der Eltern eintragen, um in Vorleistung für die Bezahlung der Heimkosten zu gehen. Die Mutter hat nur eine Rente von 300 Euro. Die monatlichen Heimkosten betragen 3000 Euro. Nach Abzug des Anteils aus der Pflegeversicherung müssen die Kosten anteilig aus der Rente von Ehefrau und Ehemann und dem Vermögen aufgebraucht werden. Das ist nach einem Jahr aufgebraucht. Bei einer Rente von 980 Euro ist auch dem Sozialamt klar, dass der Witwer nur bedingt mit den Rückzahlungen beginnen kann. Das Haus muss verkauft werden. Am Ende bleiben Vater und Sohn nur noch jeweils 5000 Euro…

Dann hat der Sohn seinen Vater mit 87 Jahren nach Berlin geholt, zwei ABM Maßnahmen angenommen, zum einen, um den Kontakt zur Außenwelt nicht zu verlieren, zum anderen um Geld zu verdienen und dennoch Zeit für die Versorgung und Pflege seines Vaters zu haben. Im April 2009 ist er zum Jobcenter gegangen und hat Hartz IV beantragt. Dies wurde ihm bewilligt.

Letzte Woche ist der Vater 93 geworden und von seinem Ziel, 101 zu werden, keinen Zentimeter abgerückt. Sollte es soweit kommen, ist der Sohn 61… Herr H. ist nach wie vor davon überzeugt, dass er den richtigen Weg gegangen ist, für seine alt und pflegebedürftig gewordenen Eltern da zu sein.

 ( Bericht aus 2010 – Daten aktualisiert in 2014, sein Vater verstarb 2011 mit 94 Jahren )

 

 

2 Gedanken zu “DIE AUFGABE des 21. Jahrhunderts !

  1. Eine Aufgabe die wirklich alle Liebe und Kraft kostet, wie ich selbst weiß. Bleibt zu hoffen, dass er wirklich 101 wird oder hoffenlich noch älter. Damit dem Pflegenden Sohn keine soziale Katastrophe ereilt. Ich selbst habe 10 Jahre gepflegt und meine Mutter ist, dank meiner Fürsorge (kann ich mit Recht behaupten) 95 Jahre alt geworden und wäre demnächst, in den kommenden Tagen, 96 geworden. Manchmal denke ich, wenn sie doch noch leben würde. Die Natur aber lässt sich nicht in die Karten schauen.
    Mir wäre eine soziale Katastrophe erspart geblieben.
    Deshalb bin ich, wie alle anderen Mitstreiter bei ADP, bei PID e. V. und wie sie sonst noch alle sich nennen für ein soziales Rundumpacket mit vollständiger sozialer Absicherung um nach der Pflege durchstarten zu können.
    Die raue Wahrheit nach der Pflege am Angehörigen, wenn man selbst schon älter ist, ist soziale Kälte, nicht verstanden werden, Einsamkeit, für Andere Luft und man wird finanziell ausgesaugt so lange man noch was auf der Kante hat. Ein hausgemachtes Armutserzeugendes Problem dieser egoistischen kapitalistischen Gesellschaft. Selbst ein Strafgefangener wird besser wieder in die Gesellschaft eingegliedert.
    Traurig, dass der Mensch nicht viel wert ist. Wären pflegende Angehörige eine Bank, wären sie schon längst gerettet.

    Gehen wir, wenn wirs alle doch mal könnten, wie 1989 auf die Straße…!!!

    Können wir das??? Antwortet bitte…

    Euer
    Roland G. Brußmann (PID e. V.)

  2. was ist genau ein Sozialmanager? Wäre das vielleicht auch was für mich? (pflegende Heilpraktikern). Und was genau muss man sich unter Transferleistungen vorstellen?
    Und wieso musste das Haus schon zu Lebzeiten des Vaters verkauft werden? Das kann unmöglich rechtmässig sein!

    und wieso kann man eine ABM Massnahme besser mit der Pflege verbinden als einen anderen Job? Gibt es da Vorteile von denen ich noch nix weiss?
    Welche Pflegestufe hatte der Vater und war er auch dement?

    Warumzum Teufel wechselen die Nachbarn und Bekannten de Stassenseite? Das kann doch mit der Pflege nichts zu tun haben? oder weil sie nicht um Hife gefragt werden wollten ??

    Herr H. scheint ein guter Engel zu sein, der sich sein Leben lang um das Wohlergehen von Menschen gekümmert hat. Ich hoffe dasses ihm gut geht und er Zeit und genug Geld hat, sich jetzt um sein Wohlergehen zu kümmern.
    Mit solidarischen Grüssen von Hamburg nach Berlin,
    Renate Ziegler

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