Ich war 26, als die Pflege meiner Mutter begann!

( Herr K. ist 44 Jahre alt, pflegt seit 18 Jahren und lebt in NRW )

Meine Forderungen an Politik und Gesellschaft:

ADP pilot03Und vergessen wir nicht: Wir alle können alt werden! Deshalb fordere ich von diesem Sozialstaat: Pflegende Kinder und Jugendliche sollen einen besonderen Stellenwert in dieser Gesetzgebung bekommen, der ihr Recht auf Bildung und Aufbau einer eigenen Existenz sichert. Eingesparte Sozialleistungen durch Angehörigenpflege sind ihnen in voller Höhe zu erstatten. Ihre Arbeitskraft gehört ihnen als pflegende Angehörige als ihr Eigentumsrecht.

Ich bin in die Pflege gestolpert. Ich war damals erst 26, als meine Tätigkeit als pflegender Sohn begann. Da gab es keine Reflexion, wie sich das alles einmal entwickeln würde. Meine Mutter brauchte einfach Hilfe und Pflege. Sie war schon viele Jahre an einer schweren Schizophrenie erkrankt, als der Vater plötzlich und unerwartet starb. Ich saß ich in einer Abschlussprüfung für meine zweite kaufmännische Ausbildung. Unprätentiös wurde ich aus der Prüfung gebeten. Dann eröffnete man mir den Tod meines Vaters. Auf der Rückfahrt ins Elternhaus war klar: Jetzt wird sich einer um Mama kümmern müssen! Da ich von fünf Kindern der letzte im Elternhaus war, fiel die Wahl auf mich. Meine Geschwister haben sich dann auch im Laufe der Pflege aus dem „Staub“ gemacht. So schnell wird man pflegender Sohn.

Meine Ausbildung konnte ich wegen der unterbrochenen Abschlussprüfung nicht abschließen. Während der darauf folgenden Zeit, in der ich dann für meine Mutter sorgte, qualifizierte ich mich aber als Pflegeassistent, um den Einstieg in eine Erwerbstätigkeit vorzubereiten. Ich wurde Betreuungskraft, machte eine ehrenamtliche Ausbildung zum Pflegebegleiter, dem Vorläufer der Betreuungskraft und war im Netzwerk Demenz aktiv, welches mich zum Pflegepartner ausbildete. Dass ich 2007 dann ein Studium im Sozial- und Gesundheitswesen aufnahm, hielt ich für folgerichtig. Schließlich hatte ich bei all den Ausbildungen und Qualifizierungen immer die Intention, pflegenden Angehörigen, so wie ich einer war, Hilfe und Unterstützung besonders bei der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege zu gewähren.

Ich wollte arbeiten, um mir das Studium zu finanzieren. Auch um Erfahrungen für das neue Berufsfeld zu sammeln. Für BAföG war ich bereits zu alt. Schlimmer aber war: Ich erfuhr, dass die Situation pflegender Studenten nicht im BAföG Gesetz zu finden ist. Das bedeutete für mich, dass wenn ich das Studium hätte unterbrechen müssen, weil meine Mutter plötzlich für eine gewisse Zeit mehr Pflege und Betreuung gebraucht hätte, (wie es für studierende Mütter berücksichtigt wird) ich meinen Anspruch auf BAföG verloren hätte. Ein Studienkredit als pflegender Student wurde trotz „Bettelbrief“ an die KFW Bank (Kreditanstalt für Wiederaufbau, eine bundeseigene Bank) abgelehnt. Heute plant die Bundesregierung eine Familienpflegezeit einzuführen, die über ein KFW-Bank-Darlehen abbezahlt werden soll. Ein Treppenwitz für einen jungen pflegenden, studierenden Angehörigen.

Ich wollte nie etwas geschenkt. Meine wöchentliche Arbeitszeit mit Arbeit, Studium und Pflege betrug 120 Stunden. Allerdings muss ich heute sagen, Leistung lohnt sich nicht in diesem Land. Nach dem Abschluss des Studiums werde ich versuchen, dieses Land zu verlassen. Andere Länder nehmen pflegende Angehörige ernster. Schauen wir in einigen Jahren, wie der demografische Wandel ohne das Expertenwissen der vielen tausend pflegenden Angehörigen bestritten wird.

2009 musste ich mich exmatrikulieren – ohne das Studium beenden zu können, als ich meine Arbeitsstelle in der ambulanten Behindertenhilfe aufgegeben musste, weil meine Mutter mit dem Leben ringend im Kreisklinikum lag. Krebs. Es ging ihr nicht wirklich gut. Ob sie die Erkrankung überleben würde? Ich konnte es nicht wissen. Ich war einfach für sie da. Ohne Gedanken hatte ich meine Stelle gekündigt. Wie würde es weiter gehen? Was käme dann noch alles auf mich zu? Ich wusste es damals nicht. Obwohl es schon die Pflegezeit gab, habe ich, ohne diese zu beantragen, gekündigt. Solche Entscheidungen sind aus der Retrospektive sehr schön und rationell zu beurteilen. Aber in einem Moment, wo es um das Leben eines Menschen geht, der sich dir anvertraut hat, da handelt man!

Ich fühle mich geradezu zur Exmatrikulation erpresst. Es fehlten sämtliche Einnahmen. Um das Studium nicht abzubrechen, beantragten meine Mutter und ich schließlich ein Darlehen in vorübergehender Notlage beim örtlichen Sozialamt. Es ging 36,96 Euro Zuzahlung. Der Antrag wurde bis heute nicht angenommen und bearbeitet. In einer „aufsuchenden Pflegeberatung“ meines Heimatkreises wurde mir gesagt: „Wer Studium und Erwerbstätigkeit (zur Finanzierung auch des Studiums) neben der Angehörigenpflege unter einen Hut bringen will, der ist eben ein Problemfall.“

Der angerichtete Schaden: Mehr als 25.000 EURO durch den Abbruch des Studiums. Schlimmer: Ich verliere volle zwei Jahre bis zum Abschluss. Und werde wohl erst 2013 fertig. Nun beziehe ich wieder ALG II. Mitleid brauche ich nicht. Ich will meine Leistungskraft anerkannt und bezahlt bekommen! Ich habe lange Jahre die Sozialhilfesysteme entlastet! Trotz der vielen Schwierigkeiten bereue ich nicht, mich um meine Mutter gekümmert zu haben, sie gepflegt und umsorgt zu haben, weiß ich doch eines ganz genau: Wären alle Tränen, die meine Mutter um mich geweint hat, eines fernen Tages Blumen, so wäre ihr Grab ein Blumenmeer. Sie ist meine Mutter und eine bessere Mutter gib es nicht!

( Bericht aus 2010 – Daten aktualisiert in 2014 )

 

2 Gedanken zu “Ich war 26, als die Pflege meiner Mutter begann!

    • Lieber Andrew,

      bitte entschuldigen Sie die verspätete Antwort – wir hatten 3 Wochen technische Schwierigkeiten und sind jetzt erst wieder erreichbar.

      Da es neben den gesetzlichen Neuerungen ab 2017 auch immer individuell unterschiedliche Familienkonstellationen gibt, empfehlen wir Ihnen eine Beratung – bspw. bei der BIVA (hier geht es auch telefonisch): http://www.biva.de/beratungsdienst/kosten-im-pflegeheim/

      Wir wünschen gutes Gelingen und falls Sie Fragen haben, können Sie uns gerne telefonisch erreichen

      Ein GUTES Neues Jahr für Sie – mit lieben Grüßen aus Telgte (bei Münster, NRW)

      Susanne Hallermann für Team ADP

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