„Eigentlich müssten wir vom Staat auf Händen getragen werden!“

Lesen Sie hier unseren aktuellen Betroffenen-Bericht unseres neuen Mitglieds Katrin Helm aus Sachsen – Anhalt. Vielen Dank für den Bericht und die Schilderungen, wie es wirklich aussieht, wenn man „von heute auf morgen“ pflegt…

Hallo, liebe Betroffene!

Ich bin seit 5 Jahren mit der Pflege meines Mannes (Hirnbluten, das volle Programm, Pflegegrad 4) befasst. 2 Jahre habe ich versucht synchron zu arbeiten, es war zu viel.  Mein Körper streikte, auch weil ich dann gemoppt wurde, da ich zeitlich nicht mehr so flexibel war. Das war nervlich nicht mehr auszuhalten. Also kündigte ich.

Ich entschied mich für die Vollzeitversorgung meines Mannes. Ich hatte die Wahl, entweder schaltet sich mein Körper aus, oder ich versuche jegliche zusätzliche Verantwortung abzustreifen und überlebe das Ganze selbst! Echt!

Diese ständige Panik, es nicht mehr zu schaffen, was wird dann mit meinem Mann? Wer würde sich kümmern? Alles was ich erkämpft habe, um ihm zu helfen, etwas ins Leben zurück zu finden, es wäre umsonst! 

In einem Pflegeheim würde er nicht konsequent therapeutisch beübt werden. Warum auch, denn wenn es ihm besser gehen würde, wäre der Pflegegrad sicher herabgesetzt und dann gäbe es weniger Geld,

Von der politikgemachten Satt- und Sauberpflege, ganz zu schweigen. Wobei auch viele professionellen Pflegekräfte ihre Empathie wachküssen sollten. Es kann sein, dass sie die Seite wechseln, weil das Schicksal es so will! Die Pflegerinnen und Pfleger, die Ihre Arbeit trotz Stress achtsam und patientenorientiert ausüben, denen sei gedankt!

Ich muss mich wie viele pflegende Angehörige, selbst krankenversichern. Mein Mann war privat versichert, beruflich bedingt. Durch uns pflegende Angehörige spart der Staat viel Geld ein. Ist da nicht mal der Krankenkassenbeitrag für uns möglich? Oder wenigstens anteilig?

Was auch eine große Belastung ist, ist die Abrechnerei. Ich wälze unglaublich viel Papier. Das ist zermürbend. Die Zeit fehlt dann, um meinen Mann einmal öfter um den Block zu schieben! Ich fühle mich einsam damit, wenn wiedermal viel anliegt. Die ganze Verantwortung ist stellenweise sehr erdrückend!

Vor 5 Jahren haben wir geheiratet. Der Saal war voll. Kurz danach wurde mein Mann so krank und es zogen sich alle zurück.

Bis auf eine Freundin, die uns mit Taten extrem zur Seite steht. Sie ist eine Perle! Manche Bekannte gehen an uns vorbei! Ich weiß, so geht es vielen Betroffenen. Mittlerweile lächle ich darüber und konzentriere mich auf das Hier und Jetzt!

ABER: es gibt auch Tage, da könnte ich alles hinschmeißen!  Da frage ich mich, was kommt noch alles an Schwierigkeiten, Anträgen, Bürokratie? Wie bekomme ich das alles auf die Reihe? Vielleicht erwarte ich zu viel? Oder, oder,…. dann sage ich mir aber auch, dass ich die Energie nicht dafür verschwenden darf.

Ich brauche sie für mich und meinen jetzt 17 jährigen Sohn, der mitten in der Ausbildung ist. Er hat das ganze Elend am meisten mitbekommen inclusive aller Lebensveränderungen, die uns nun betreffen. Ich hätte ihm das gern erspart.

Beinahe ungezogen fand ich Bemerkungen von Bekannten, ehemaligen Freunden wie: “ Du musst dich aber auch mal ausruhen“ und stehen dann auf und gehen!  Salz in die Wunden streuen, wo man selbst nach Leben ringt! Ohne Worte! Das war in den ersten 3 Jahren, wo ich mega erschöpft war.

 

Ich bin durch eine harte Schule gegangen, um selbst wieder Achtsamkeit für mich zulassen zu können! 
Man muss einen Weg für sich finden. So war zwar nicht der Plan, aber was soll ich sonst machen?

Beruflich denke ich oft zurück. Mein ehemaliger Chef rief mich vor einem halben Jahr an, ob ich ein Projekt betreuen könne, was wie für mich geschaffen wäre. Teilzeit. Aber zu der Zeit hatte mein Mann noch Probleme mit dem Alleinsein. Er konnte nicht verstehen, dass ich dann und dann wiederkomme.  Schade, um diese Chance. Diesbezüglich muss ich immer wieder meine Einstellung hinterfragen.

Lasse ich zu, dass diese Ereignisse mich entmutigen und hadern lassen oder sage ich mir, ich arbeite doch Vollzeit, bei meinem Mann! 
Ist zwar quasi ehrenamtlich, da ohne Bezahlung, aber mein Lohn ist dieser unglaublich dankbare Mensch an meiner Seite!

Und doch hätte ich gern eine Bezahlung dafür. Allein um ganz praktisch den Kredit aus gesunden Tagen mit abzahlen zu können. Bei einem normalen Gehalt wäre das schon Geschichte.Dann könnten wir uns auch eine dieser unverschämt teuren, barrierefreien Wohnungen leisten!

Die Pflege wäre einfacher, ohne Anstrengung duschen, meinen Mann ohne Treppenhindernisse aus dem Haus rollen usw. Außerdem wäre die tägliche Pflegearbeit incl. der Bürokratie, für die Gesellschaft anerkennungswürdig. Es ist ja wirklich viel Arbeit und ohne Frei!

Sein wir doch mal ehrlich, man ist doch raus aus allem, was beruflich Thema war! Pflege eines Angehörigen gilt doch nicht als Arbeit! Es wird als schiere Selbstverständlichkeit erwartet!

Warum kann man nicht auch für uns zu Hause Pflegende den vollen Pflegesatz, den ein Pflegedienst beanspruchen kann, für uns als Gehalt nutzen??? Und schon wäre die Frage der Armut für uns, nicht mehr so akut! 

Ein Pflegedienst kann gar nicht abdecken, was ein sehr hilfsbedürftiger Mensch täglich an Handreichungen benötigt. Hier kann es nur nach vorgefertigten Pflegestandards gehen. Jedenfalls sind das ihre staatlichen Vorgaben, mehr ist nicht drin.

Wir sind ein so reiches Land, kann nicht einfach von staatlicher Seite der zu Pflegende gefragt werden: „Was brauchst du um dein Leben erleichternd zu gestalten?“

Dies sollte dann ohne viel Papierkrieg organisiert werden und schon ist die Situation erträglicher, weil man sich nicht ständig ermahnen muss, Fristen einzuhalten, Gelder zu beantragen etc. Das ist so erschöpfend!

Von staatlicher Seite sollten wir pflegenden Angehörigen doch auf Händen getragen werden! Schließlich entlasten wir die Kassen und die Pflegeeinrichtungen enorm! Das ganze System würde kollabieren, wenn wir die Pflege zu Hause wegen der ganzen Schwierigkeiten aufgeben!

Ich denke auch, dass es sehr wichtig ist, sich jemanden ins Boot zu holen, der systemisch Ahnung hat, damit man sich eine gute Einstellung zur Pflegesituation, erarbeiten kann.
So habe ich es gemacht!

Ich hatte es so satt, mich als Opfer zu sehen, das nun die Niete gezogen hat.

Weil: Es wurde mir immer wieder eingeredet, meinen Mann doch im Pflegeheim abzugeben, damit ich wieder gut leben und normal arbeiten kann! Dieser Gedanke, hat mich schier hilflos gemacht!

Warum äußern sich Menschen so, warum bieten die wenigsten praktische Hilfe an? Mit Kleinigkeiten, mal sprechen, mal Essen kochen, mal wischen…mal da sein! Frei nach dem Motto: Selbst schuld, wenn du umfällst…!

Dabei ging es mir sooo schlecht!!! Ich musste meine Einstellung ändern, damit ich solchen Äußerungen keinen Boden mehr bieten konnte! Das war absolut überlebenswichtig!
Kleine Freiräume schaffen und diese auch auskosten. In kleineren Dimensionen denken und sich freuen über das was geht und was man hat. Das ist mein Notanker geworden. Mittlerweile kommen neue Menschen auf uns zu. Das schafft interessante Begegnungen und Einblicke.

Ich möchte allen Menschen, die sich freiwillig um andere kümmern, ihre Träume und eigenen Pläne dabei hintenanstellen, Mut machen!

Wir geben zwar bestimmte Dinge auf, aber wir gewinnen auch etwas. Wenn auch nicht auf den ersten Blick! Wir tun etwas zutiefst Menschliches, wir kümmern uns um einen Menschen. Wenn nicht wir, wer dann? 

Katrin Helm

3 Gedanken zu “„Eigentlich müssten wir vom Staat auf Händen getragen werden!“

  1. Hallo Katrin, willkommen im Club, ist humorvoll gemeint. Ich pflege seit 18 Jahren meine schwerstbehinderte Frau nach grausamen Gehirnbluten und dem dazu gehörigen vollen Programm, Nun gesellt sich noch Demenz dazu. Mit 56 habe ich meinen gut bezahlten Job aufgegeben um mich ganz der intensiven Pflege zu widmen.Unser 24h Job wird nickend unter den Teppich gekehrt und der dazu begleitende alltägliche Krampf-Kampf raubt uns Kraft und Energie, welche wir fur die Pflege brauchen….wir pflegen unsere Liebsten mit Liebe und Achtung, von einfach war nie die Rede…herzlich grüßt Hans, der seine Frau durchs Leben schiebt.

    • Lieber Herr Eßer,

      vielen Dank für Ihren Kommentar – wir leiten ihn auch direkt an Katrin weiter!
      Bei all dem Desaster und den alltäglichen Kämpfen schreiben Sie noch so positiv – das ist wahrlich bewundernswert!
      Gerne würden wir mit Ihnen telefonieren und wenn es Ihnen möglich ist, rufen sie uns gerne unter 01522 8576840 an.
      Gerne rufen wir zurück!

      Alles Liebe für Sie und Ihre Frau!
      Herzliche Grüße
      Susanne Hallermann vom Team ADP

  2. Liebe Katrin, ich habe Ihren Artikel gelesen und dieser hat mich sehr gerührt. Ich bin zufällig darüber gestolpert als ich auf der Suche nach Informationen zur häuslichen Pflege war, bzw bin es immer noch. Mein Partner, PG4, Parkinson, lebt in einer betreuten Wohngruppe und fühlt sich dort nicht wohl bzw braucht mittlerweile mehr Hilfe im Alltag, die der ambulante Pflegedienst nicht mehr lange leisten kann. Wir können uns leider zur Zeit nicht sehen wegen Corona und wur vermissen uns natürlich sehr. Ich bin sonst jeden Tag bei ihm und schaue das er alles hat was er braucht, helfe bei Dingen, due der PD nicht leistet bzw nicht leisten kann. Wir haben uns nach reiflicher Überlegung entschieden das wir zusammen ziehen und ich ihn Pflege. Da ich selbst bei einem ambulanten Pflegedienst arbeite weiß ich auf was ich mich einlasse. Ich hätte aber gern jemandem zum Austausch, jmd der sich auskennt und nicht gleich mit dem Koof schüttelt… Ich würde mich sehr freuen wenn Sie mich kontaktieren würden. Furs erste alles Gute und trotz allem Frohe Ostern!

    Liebe Grüße V. G

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