(Frau S.-E. ist 51 Jahre alt, pflegt seit 8Jahren und lebt in Hessen)
Meine Forderungen an Politik und Gesellschaft: Vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen fordere ich zur Unterstützung berufstätiger, pflegender Angehöriger: Das Thema sollte von der Politik ernst genommen werden. An den Kosten für die Betreuung und Pflege während der Zeit der beruflichen Abwesenheit der wichtigsten Pflegeperson sollte sich die Gesellschaft beteiligen; mit dem Pflegegeld allein ist es nicht getan. Flexibilität bei Einrichtungen der Kurzzeit- und Tagespflege als auch am Arbeitsplatz. Begünstigte Ansprüche auf Leistungen der medizinischen Rehabilitation sowie einen mehrtägigen, bezahlten Zusatzurlaub im Jahr halte ich für unerlässlich, um die Erwerbsfähigkeit von pflegenden Angehörigen längstmöglich zu erhalten.
In genau sechs Wochen wäre es soweit gewesen, dann hätte mein Mann die jahrelang ersehnte volle Stelle gehabt, auf die er so lange hin gearbeitet hatte. Immer mit viel Stress und Verantwortungsgefühl verbunden, wir waren so kurz davor. Auch hatten wir schon Pläne gemacht, was wir mit dem zusätzlichen Geld seiner Vollzeit-Stelle gemacht hätten: Jedes Jahr in den Urlaub fahren, die Wohnung renovieren, das waren unsere Vorstellungen bis dahin gewesen. Dann kam von einem Tag zum anderen alles anders. An einem Freitagnachmittag erhielt ich einen Anruf vom Universitätsklinikum, der Arzt sagte: „Kommen Sie bitte sofort, Ihr Mann hatte einen Schlaganfall“. Ich weiß heute noch ganz genau, wie ich ins Telefon laut hineinrief: „Was, einen Schlaganfall???“ – und gleich danach die erste Frage „Kann mein Mann sprechen?“
Das ist jetzt genau sechs Jahre her. Sechs Jahre, in denen sich unser Leben von Grund auf veränderte; in dem nichts mehr so ist, wie es mal war. Mein Mann war damals mit 47 Jahren plötzlich ein Pflegefall: Der einzige der immer gesund gelebt hatte, Sport getrieben hatte, regelmäßig Blut gespendet hatte und dort immer großes Lob für seine so sehr guten Werte geerntet hatte, war nun halbseitengelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Außerdem hatte er eine sehr schwere globale Aphasie, er wollte sprechen, konnte aber nicht, die Worte fanden einfach nicht aus seinem Mund heraus. Neben dem tiefen seelischen Schock, von dem ich mich nur sehr langsam erholte (und ganz ehrlich habe ich zeitweise heute noch daran zu knapsen), bekamen wir auch finanzielle Sorgen.
Mein größtes Ziel, was ich mir am Anfang gesteckt hatte, dass mein Mann nicht in ein Heim muss, und es gleichzeitig zu schaffen, berufstätig zu bleiben, habe ich in den letzten sechs Jahren geschafft. Allerdings nicht ohne dafür einen hohen Preis zu zahlen. Als mein Mann damals aus dem Akut-Krankenhaus in die medizinische Reha kam, stand fest, dass ich für uns ein neues Zuhause suchen musste. Unsere bisherige Wohnung war absolut nicht rollstuhlgerecht. Ich musste also schnell eine neue Wohnung finden. Rollstuhlgerechte Wohnung aber sind sehr rar gesät. Irgendwann bekam ich eine angeboten, die total verwohnt war und dringend der Renovierung bedurfte. Da wir vorher leider für solcherlei Notfälle nicht vorgesorgt hatten, (diese Dinge, Absicherung für solche Fälle, Altersvorsorge etc., das wollten wir zusammen mit der Vollzeitstelle meines Mannes angehen) hatte ich dafür kein Geld. Ich ging also zur Bank, um mir welches zu leihen. Der Mann auf der Bank gab mir einen weitaus höheren Kredit, als ich ursprünglich erwartet hatte, ich hätte ja ein sicheres Gehalt, so sagte er. Ich hatte mich einfach von ihm beschwatzen lassen. Auf die Kreditnebenkosten achtete ich damals nicht. Ich unterschrieb, und erst nach und nach begriff ich, was da getan hatte.
Bis heute muss ich den hohen Kredit monatlich zurückzahlen mit relativ hohen Zinsen. Mein ganzes Geld, die Rente meines Mannes und das Pflegegeld verbrauchen sich allein für die Sicherung unseres Lebensunterhalts, die Absicherung seiner Pflege und Betreuung während der Zeit meiner beruflichen Abwesenheit und die Abzahlung des Kredites. Ich kann nicht in den Urlaub fahren, das Geld kommt herein und geht sofort wieder hinaus. Hinzu kommt der hohe Ärger und Aufwand mit dem Bafög-Amt, das immer wieder die Rückzahlung meines Bafögs aus Studienzeiten fordert. Die Auseinandersetzung mit dem Bafög-Amt füllt nicht nur dicke Ordner, sondern kostet auch unendlich viel Kraft und belastet mich seelisch stark. Manchmal habe ich Lust alles hinzuschmeißen, zu sagen ‚Jetzt bin ich dran, ich kann nicht mehr! Vor allem diese Doppel- und Dreifachbelastung schaffe ich manchmal kaum mehr: Meiner Berufstätigkeit nachzugehen, die Pflege meines (immer noch nicht sprechenden) Mannes morgens und abends und an den Wochenenden zu übernehmen und dazu noch die Pflege während der Zeit meiner beruflichen Abwesenheit immer wieder neu zu organisieren und sicher zu stellen. Meine Wochenenden sind sehr einsam geworden, manchmal leide ich richtig darunter. Das gehört alles zu dem Preis, den ich bezahle.
Doch was wäre die Alternative? Aufgrund der kleinen Rente meines Mannes wären wir sofort auf Sozialhilfe bzw. Grundsicherung oder Hartz IV angewiesen. Das als unsere finanzielle Ausrichtung für die Zeit bis zu unserem Tod zu akzeptieren, kommt für mich nicht in Frage. In meinem Beruf unterstütze ich unter anderem Hartz IV Empfänger und weiß sehr gut, wie sich das anfühlt. Ich kämpfe ganz ehrlich jeden Tag darum, dass mir genau das nicht passiert. Ich tue alles dafür, dass wir als Familie kein Sozialfall werden.
( Bericht aus 2010 – Jahresangaben aktualisiert in 2012 )