Mit außerordentlich viel Entbehrungen leben!

(Herr G. war 70 Jahre alt, pflegte seit 47 Jahren, lebte in NRW und verstarb 2013)

 Meine Forderungen an Politik und Gesellschaft:     Ich möchte an dieser Stelle an die Mitbürger und den Staat appellieren: Pflegende Angehörige müssen angemessener finanziell unterstützt werden. Die derzeitig festgesetzte Höhe des Pflegegelds reicht nicht aus und ist im Verhältnis zu den Kosten für eine Heimpflege viel zu gering bemessen. Ich wünsche mir mehr Wertschätzung von Seiten der Öffentlichkeit und des Staats für die von pflegenden Angehörigen erbrachten Leistungen.

Als unser Sohn am 09. Mai 1967 vierzehn Tage „über die ärztlich errechnete Zeit“ per Kaiserschnitt geboren werden musste, lief er sofort blau an und musste per Inkubator zur Intensiv-Behandlung verlegt werden. Im Laufe der folgenden Zeit wurde unser Sohn dann von einem damals schon alternden Kinderarzt (erfahrungslos mit solchen Kindern!) ärztlich weiter betreut. Wegen seiner und unserer fehlenden Erfahrung mit Spastikern hatte der Kinderarzt auch keinerlei Therapie-Empfehlungen für uns…!

Daraus ergaben und ergeben sich bis heute für uns Unsicherheit und Sorgen: Die häufig nur von Glück begleitete Suche nach kompetenter medizinischer Versorgung und Beratung und das Anfahren von, vom Wohnort weit entfernt liegender Förderschulen für unseren Sohn. Organisierte, zentrale Fahrdienste gab es damals noch nicht, und so mussten wir Eltern Hin- und Rückfahrten selber bestreiten! Jetzt im Erwachsenenalter ist unser Sohn in den letzten Jahren sehr häufig krank. Er leidet unter plötzlichen Migräne-Anfällen und fällt so in der Werkstätte häufig aus. Das belastet uns Eltern zusätzlich, da diese Situationen stets „ohne Vorwarnungen“ eintreten, und wir dann vereinbarten Vorhaben und Termine umorganisieren müssen. 1992 wurde ich selbst mehrfach an der Wirbelsäule operiert aufgrund einer von Kindheit an bestehenden Skoliose. Dazu kam eine angeborene Herzschwäche. Eine Wiedereingliederung nach langer Krankenzeit musste ich nach mehrmaligen Versuchen aufgeben. Die BfA bewilligte mir letztendlich 1996 die Erwerbsunfähigkeits-Rente. Seitdem muss ich mit meiner Familie, neben dem sowieso durch die Schwerbehinderungen schon extrem belasteten Leben, mit außerordentlich viel Entbehrungen bezüglich der Lebensqualität wirtschaftlich noch eingeschränkter leben!

Am auffälligsten wurden die Veränderungen, als zwei Jahre nach Bezug der Erwerbsunfähigkeitsrente das noch nicht abbezahlte Reihenhaus verkauft werden musste und unser Traum vom Eigenheim platzte. Mit dem Verlust der Arbeitsfähigkeit verlor ich die Hälfte meines Einkommens. Die neu zu beziehende Mietwohnung musste behindertengerecht gestaltet sein, da unser rollstuhlpflichtiger Sohn mit bei uns wohnte und noch heute wohnt. Die Miete für solche Wohnungen ist nicht ganz billig.

Das Pflegegeld, das wir für die Versorgung unseres Sohnes erhalten, deckt kaum die laufend anfallenden Haushaltskosten wie anteilige Miete. Wir sind auf das Pflegegeld zur Versorgung unseres Sohnes angewiesen! Einschränkungen ergeben sich aber nicht allein, weil das Pflegegeld kaum die anfallenden Versorgungskosten deckt, sondern auch aufgrund eines schwerfällig arbeitenden bürokratischen Apparats der Pflegekasse. Zum Beispiel erlebten wir, als wir für kurze Zeit einen ambulanten Pflegedienst engagierten, dass das restliche, uns zustehende Pflegegeld erst nach Verrechnung mit den Leistungen des Pflegedienstes mit einem Monat Verzögerung an uns ausgezahlt wurde. Für uns zu spät und damit eine untragbare Regelung.

Aber auch gerade der Verzicht auf Alltägliches und bescheidenen Luxus schränkt unseren Alltag an vielen Stellen zusätzlich ein. Das Auto ist inzwischen mit 20 Jahren nur noch für ein weiteres Jahr vom TÜV genehmigt. Danach müssten wir ein Neues kaufen – behindertengerecht selbstverständlich. Die Kosten dafür können wir aber nicht von der Rente und dem Pflegegeld bezahlen. Es bleiben die Fahrten mit Bus und Bahn – keine leicht zu organisierende Aufgabe in dem ländlichen Gebiet, in dem wir wohnen. Denn die Zugänge zu den öffentlichen Verkehrsmitteln müssen immer im voraus auf ihre Barrierefreiheit hin geprüft werden. „Ad hoc“ etwas zu unternehmen, ist damit ausgeschlossen, Großeinkäufe kaum zu bewerkstelligen. Große Freizeitunternehmungen wie Urlaub können wir uns schon lange nicht mehr leisten.

Die finanziellen Polster sind aufgebraucht, Rücklagen für das eigene Alter konnten wir nicht aufbauen. Unsere größte Sorge für die Zukunft aber ist, wie wir unseren Sohn zu Hause versorgen können, wenn unsere körperlichen Kräfte einmal nachlassen sollten? Einen ambulanten Pflegedienst können wir uns nicht leisten. Muss unser Sohn dann doch noch in ein Heim?

 ( Bericht aus 2010 – Jahresangaben aktualisiert in 2014 )

Ein Gedanke zu “Mit außerordentlich viel Entbehrungen leben!

  1. Nachtrag:

    Herr G. verstarb im März 2013 durch eine bekannte chronische Erkrankung – allerdings doch sehr plötzlich und überraschend.

    Wir sind noch in Kontakt mir der Familie und haben gemeinsam mit dem Verein wir pflegen e.V. und der Pflege-Initiative Deutschland e.V gesammelt, um den nun erforderlichen Umzug etwas zu unterstützen.

    Herr G. war in allen genannten Organisationen, soweit es sein Gesundheitszustand und auch seine Verantwortung als pflegender Vater zuließ, aktiv dabei und ihm war es ein wirkliches Herzens-Anliegen, die Situation pflegender Angehöriger in Deutschland zu verbessern.

    SOZIALE GLEICHBERECHTIGUNG FÜR MENSCHEN, DIE PFLEGEN !!

    Wir danken für sein Engagement, behalten ihn in guter ehrenvoller Erinnerung und nehmen ihn in Gedanken bei unserer Arbeit mit….!!

    Susanne Hallermann & Team ADP

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