(Frau R. ist 65 Jahre alt, pflegte 5 Jahre und lebt in Niedersachsen)
Meine Forderungen an Politik und Gesellschaft: Was mir auffällt ist, dass in unserem Sozialsystem schon so viele Gelder gespart werden durch den Einsatz der vielen pflegenden Angehörigen. Daher sollte man dieses Engagement nicht zusätzlich erschweren bzw. durch unnötige Bürokratie belasten und einschränken. Vielmehr wünsche ich mir eine verbesserte (finanzielle) Unterstützung der Selbsthilfe und des Ehrenamtes.
Mit Mutter stimmte was nicht. Mein Vater war ein halbes Jahr zuvor gestorben. Als uns auffiel, dass sie immer dasselbe wiederholte. Zuvor hatten wir noch keine große Notiz von den Veränderungen bei meiner Mutter genommen. Aber als mein Vater starb, hatte sie dann einen richtigen Schub in der Demenz bekommen. Von da an ging es überhaupt nicht mehr, dass ich sie alleine ließ. Ich habe sie über fünf Jahre lang versorgt. Die ersten zwei Jahre hat sie immer vier Tage bei mir gelebt und ich drei Tage bei ihr. In der Zeit bestätigte auch ein Neurologe meinen Verdacht: „Demenz vom Typ Alzheimer“.
Dann habe ich begonnen, mich zu informieren beim Betreuungsverein und der Alzheimergesellschaft. Auch an einer Schulung für pflegende Angehörige habe ich teilgenommen. Ich habe mich einfach schlau gemacht: Was kann ich machen, wie kann ich damit umgehen?! Es kam der Tag, als meine Mutter eines Abends nicht zu Hause war. Das war 2005. Es war sehr ungewöhnlich. Irgendwann kam sie völlig aufgelöst, durchgeschwitzt und ausgetrocknet zurück. Sie hatte sich ganz offenbar weit verlaufen. Das war der Punkt, wo ich gesagt habe: So jetzt geht’s nicht mehr, das schaffe ich nicht mehr. Wenige Zeit später, als sie auch noch gestürzt war, kam dann der Zeitpunkt, wo sie in ein Heim umziehen musste – trotz Gewissensbissen, die ich hatte. Dort konnte ich sie weiterhin regelmäßig besuchen und mich um sie kümmern. Im April diesen Jahres ist meine Mutter nun verstorben.
Heute gebe ich mein Wissen als ehemalige pflegende Angehörige weiter an andere, deren nahe Verwandte und Freunde ähnlich wie meine Mutter an einer Demenz erkrankt sind. Ehrenamtlich leite ich inzwischen zwei Selbsthilfegruppen, sogenannte „Gesprächskreise für pflegende Angehörige“. Die erste Gruppe, angeschlossen an einen gemeinnützigen Verein, bestand bereits seit 1998, als ich sie 2006 übernommen habe. Gleichzeitig habe ich 2006 an meinem damaligen Wohnort im Herbst noch eine Gruppe gegründet, weil ich merkte, dass in meiner Nachbarschaft einfach Bedarf an Informationen und Austausch war. Aus eigener Erfahrung wusste ich, als Angehöriger brauchst du einfach Unterstützung und Entlastung. Ich besuchte Lehrgänge und ließ mich als ehrenamtliche Helferin und Begleitperson für demenzkranke Menschen ausbilden.
Weil ich selbst viele Informationen erst erfahren habe, nachdem meine Mutter verstorben war, ist es mir ein echtes Anliegen, pflegende Angehörige zu unterstützen. Gleich im ersten Gespräch mit neuen Teilnehmern in meinen Gruppen kläre ich, ob sie eine Vorsorgevollmacht haben, informiere sie über Kurzzeitpflege, ehrenamtliche Besuchsdienste, u.s.w.. Viele wissen oftmals noch gar nichts. Wir unterstützen uns untereinander. Für die Weihnachtszeit haben wir sogar eine gemütliche Adventsfeier geplant. Und inzwischen sind das richtig gewachsene Gemeinschaften. So könnte eigentlich alles weiterlaufen. Nun gibt es aber seit einiger Zeit veränderte Auflagen für den Umgang mit Fördergeldern bei den Selbsthilfegruppen, die gemeinnützigen Veinen zugeordnet sind. Ursprünglich konnten Fördermittel durch die Selbsthilfegruppen mit einer zweiten Unterschrift unbürokratisch angefordert und direkt empfangen werden. Zukünftig sollen nun aber auf der Homepage des Vereins alle angeforderten Fördermittel veröffentlicht werden. Aus Gründen der Transparenz! Zusätzlich plant man auch Einblick und Zugriff auf das Konto der Selbsthilfegruppe. Dabei sorgen wir schon jetzt selbst in unserer Gruppe für Transparenz. Ich kann alle Ausgaben belegen. Alle Einnahmen werden von einer zweiten Person mit unterschrieben. Was soll da noch kontrolliert werden?
Ich fühle mich, als misstraute man mir. Ich will doch keine Gelder beiseite schaffen und mich bereichern (an kleinen Beträgen von max. 400 Euro aufs Jahr verteilt). Ich finde, das Ehrenamt wird mit Füßen getreten durch diesen zusätzlich eingerichteten Aufwand. Ich bin der Meinung, man sollte da kontrollieren, wo es wirklich um viel Geld geht. Aber nicht, wenn einer sich bereit erklärt, ehrenamtlich und niederschwellig eine Selbsthilfegruppe zu führen. Bei solchen Entwicklungen bürokratischer Bestimmungen und Auflagen beginne ich mich zu fragen, ob ich in Zukunft noch weiterhin Ehrenämter übernehmen und ausführen kann.
( Bericht aus 2010 – Jahresangaben aktualisiert in 2012 )
Hallo Frau R. !
Gerade habe ich ihren Bericht gelesen und ich bin sehr beeindruckt, wie sie nach der Pflege ihrer Mutter, die Führung dieser beiden Selbsthilfegruppen übernommen haben. Ich kann mir sehr gut vorstellen , wie schwer es Ihnen gefallen sein muß, ihre Mutter ins Heim zu geben. Aber ich finde es richtig gut, dass sie ihre Grenzen beachtet und so entschieden haben. Wie schön, dass sie trotzdem mit diesem Thema in ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit weitergemacht haben. Ich finde es ganz furchtbar , wie es Ihnen von der Politik gedankt wird, so als wolle man das Ehrenamt nicht mehr . Das darf nicht sein und deswegen haben Sie meine volle Zustimmung, wenn sie von der Politik eine verbesserte finanzielle Unterstützung von Gruppen, wie die Ihrigen fordern.
Mit herzlichen Grüßen
Silvia Wölki